Was macht diese Überschrift mit Ihnen? Sicherlich sind Sie dem Link gefolgt, weil er irgendetwas in Ihnen ausgelöst hat.
Nein, Sie müssen sich dazu nicht äußern. Behalten Sie einfach das Gefühl im Gedächtnis, das sie beim ersten Lesen hatten.
Sollten Sie Angst vor einer Diskussion haben, oder sich gar auf eine Diskussion über das Thema der Überschrift gefreut haben, so kann ich Sie entweder beruhigen oder muss sie leider enttäuschen.

Gesprächskultur in den sozialen Medien

Es gibt viele Themen, die im Alltag der allermeisten Menschen eine untergeordnete Rolle spielen, in den sogenannten sozialen Medien aber eine enorme Bedeutung erlangen. Das ist auch gut so. Themen, die sonst einfach durchrutschen würden, bekommen eine Plattform. Die Funktion, „Öffentlichkeiten für Menschen herzustellen, die vorher unsichtbar waren“ [Anatol Stefanowitsch, 2029, Tagesspiegl] ist eine der wichtigsten der sozialen Medien.
Die Niedrigschwelligkeit und die Anonymität dieser Art der Meinungsäußerung macht es auf der anderen Seite aber sehr einfach, sich auf eine Seite zu schlagen, verbal über das Ziel hinauszuschießen und den Menschen hinter dem Profil zu be- und verurteilen.

Gespräche außerhalb des Internets

In einem persönlichen Gespräch würde man vielleicht altmodisch einen Zeitungsausschnitt zeigen und den gegenüber fragen: „Möchtest Du den Artikel lesen, es geht um xy, mich beschäftigt das gerade. Und ich würde das Thema gerne mir Dir diskutieren.“
In einem persönlichen Gespräch sagt der gegenüber vielleicht: „Oh, davon habe ich gehört und mir bereits eine Meinung gebildet, wir können uns gerne dazu austauschen.“
In einem persönlichen Gespräch ist es möglich, den Gesprächspartner zu beobachten und binnen weniger Augenblicke festzustellen, wie eine Aussage gemeint ist. Im Zweifelsfall bleibt die Nachfrage.

Gespräche im Internet

In den sozialen Medien ist es weitaus schwieriger. Sollte man sich die Mühe machen, herausfinden, wie jemand etwas gemeint haben könnte, schaut man sich seine Follower an und untersucht genau, wem die Person selbst folgt.
Manchmal muss man dann dringend per DM schreiben, dass die Person ihre Follow-Liste überprüfen muss, weil da wer dabei ist, dem niemand, der auf der richtigen Seite stehen will, folgen darf.

Es ist auch nicht möglich, einen Artikel zu teilen, um ihn zur Diskussion zu stellen. Es sei denn, man hat vorher jegliche Sekundärliteratur gelesen und kennt alle Begrifflichkeiten zum Thema aus dem Effeff. Und der Artikel darf sich auf keinen Fall kritisch mit einem Thema auseinandersetzen, bei dem klar ist, welche Meinung die Richtige ist.
Teilt man etwas in den sozialen Medien, wird es als die eigene Meinung gelesen. Als identifiziere man sich automatisch zu hundert Prozent mit den geteilten Inhalten.

Schwarz und Weiß, Kritik =Hass

Soziale Medien kennen nur schwarz und weiß, es gibt nichts dazwischen. Bejubeln Sie meine Meinung nicht, sind Sie automatisch gegen mich. Ihre Kritik an einem Aspekt meiner Position ist Hass. Sie stellen dadurch meine Daseinsberechtigung in Frage. Und hätte ich doch geringe Zweifel, so bliebe ich immer bei Hass, denn nachzufragen, was Sie ganz konkret gemeint haben könnten, dazu habe ich keine Zeit, keine Energie, kein was auch immer. Aber ich habe sofort Bezeichnungen für Sie an der Hand, deren Bedeutungen Sie erst mal googeln müssen. Hauptsache ich kann Sie in eine Schublade stecken und muss nicht darüber nachdenken, ob Kritik nicht vielleicht doch auch berechtigt sein kann.

Zurück zur Überschrift: Sie hatten Gefühle. Erinnern Sie sich? Die kurze Aussage hat Sie sicher dazu bewogen, mich gleich in eine Schublade zu stecken. Aber diese Schublade hat nichts mit mir zu tun. Ich bin nicht die Summe meiner Zitate.