Wie man sich bei seinem Kind unbeliebt macht? Man schleppt es mit einem Rucksack, Proviant und einer Hängematte ins fränkische Nirgendwo, um dort bei Einbruch der Dämmerung festzustellen, dass es keinen Handyempfang gibt, um den richtigen Weg zu finden.
Das Zwischenziel der Wandertour im Steigerwald ist eine Übernachtung auf dem Biwakplatz Steinknuck in der Hängematte unter freiem Himmel. Mutterseelen alleine.
Am Vorabend der kleinen Wochenendreise müssen die Rucksäcke einmal zur Probe gepackt werden. Jedes überflüssige Teil wird nach wenigen Kilometern wie Blei auf dem Rücken hängen.
Hängematte, Gaskocher, Schlafsäcke, Biwaksack, Wechselkleidung und die Lebensmittel für Abendessen und Frühstück. Das Hundefutter für den kleinen Mischlingshund Charly darf auch nicht fehlen.
Es lässt sich nicht genau ausmachen, wer an diesem Samstagvormittag aufgeregter ist: Die Achtjährige, die sich erst mal auf Exklusivzeit mit Mama freut, der quirlige Hund, der gar nicht weiß, warum alle so aufgeregt sind oder die Mutter, die trotz Planung etwas planlos ist.
Anfahrt zum Steigerwald
Die erste kurze Zugfahrt mit dem VGN bis Fürth verläuft ohne Zwischenfälle, doch die Geduldsprobe folgt sofort: Der Anschlusszug entfällt und der nächste kommt erst eine Stunde später.
Im Zug nach Bamberg sitzen noch viele Menschen, die zu beobachten richtig Spaß macht.
Nach einem weiteren Umstieg in der weit über fränkische Grenzen hinaus bekannten Domstadt Bamberg braucht der RB 53 eine weitere Stunde bis zum berühmten Bahnhof von Ebelsbach-Eltmann, mitten im sagenumwobenen Steigerwald.
Los geht es in Richtung Wald
Und schon geht die Wanderung los. Zumindest fast, denn erst mal muss noch der richtige Weg zum Wald gefunden werden. Ziel ist ein Biwakplatz, von denen es im Steigerwald einige gibt. Man muss die Übernachtung vorab buchen, denn die Plätze sind begrenzt.
Noch tragen sich die Rucksäcke leicht und unbeschwert, die Füße machen wie gewohnt einen Schritt nach dem anderen. Der Hund kann sich gar nicht sattriechen an den vielen neuen Düften am Wegesrand. Die Achtjährige erzählt von der Schule, ihren Freund*innen und von den Eindrücken aus dem kürzlich erlebten Urlaub in der Toskana. Die Mutter hört dem Kind aufmerksam zu und genießt es, weder von Arbeit noch von den Geschwisterkindern unterbrochen zu werden.
Der Weg durch den kleinen Ort zieht sich über eine halbe Stunde hin und alle sind froh, als der Abzweig in den Wald in Sichtweite kommt. Hier darf der Hund endlich von der Leine und das Kind braucht erst mal eine Trinkpause. Ein Blick auf die Wanderapp verrät, dass der Weg ab jetzt immer steiler und damit auch anstrengender wird.
Irgendwann verstummt das Gespräch und geht in ein rhythmisches Schnaufen über. Das Handy hat eine Abkürzung gefunden und auf einmal führt der Weg auf einem verwachsenen Pfad über umgestürzte Bäume und durch dichtes Gebüsch. Das trägt zwar zur Erheiterung des quirligen Hundes bei, der aufgeregt hin und her wuselt, die Achtjährige jedoch verliert bald die Lust am Weiterstapfen.
Jetzt helfen nur noch Wendy in Form eines Hörspiels in Kombination mit einem Schokoriegel. Betrachtern mag das alles merkwürdig erscheinen: ein wild herumspringender Hund, eine nicht mehr ganz so jugendliche Frau mit einem übergroßen Rucksack, ein verbissen durch den Wald stapfendes Kind und dazu die fröhlich aufgedrehten Stimmen von Pferdemädchen und einem Tierarzt.
Auch der unwegsamste Pfad hat irgendwann ein Ende und in der Nähe des Tretzendorfer Weihers bei Unterschleichach findet sich eine Stelle am Ufer der Aurach, an der sich der Hund die Pfoten kühlen kann und die Wanderinnen eine große Rast einlegen können.
Die Stimmung ist nach der Rast und einer Packung Kekse wieder besser und die kleine Kröte am Wegesrand liefert Gesprächsstoff für längere Zeit. Dank Tierbestimmungsapp wird schnell klar: Es handelt sich nicht um eine Kröte, sondern um einen Moorfrosch.
Doch nach vielen weiteren Kilometern Fußmarsch, in der längst einsetzenden Dämmerung, hatte das Handy plötzlich keinen Empfang mehr und es ist fast unmöglich, sich inmitten des Steigerwaldes nicht verloren zu fühlen. Der Gedanke, den reservierten Biwakplatz nicht vor der Finsternis der Nacht zu erreichen, bereitet Unbehagen. Alleine mit Hund im Wald zu übernachten ist eine Sache, mit einer müden Achtjährigen, die nach 15 Kilometern keine Lust mehr hat, eine andere.
Etappenziel erreicht
Die Rucksäcke werden immer schwerer. Die Idee, die selbstgemachte Tomatensuppe und Milch für das Frühstück in Schraubgläsern zu transportieren erweist sich als ziemlich kurz gedacht. Diese, zwar nachhaltige Art der Verpackung ist auf Dauer viel zu schwer. Die Füße fangen an zu stolpern und lassen sich immer schwerer anheben.
Die Lösung ist, vom aktuellen Weg abzuweichen und quer durch den Wald auf den Höhenzug hinaufzuklettern. Dort ist nicht nur Handyempfang, sondern die Abendsonne leuchtet rot und dort oben ist es ein paar Grad wärmer. Das Holzschild am Wegesrand zeigt auch, wo es lang geht. Zwanzig Minuten später erscheint auf einer mit Gras bewachsenen Lichtung das Ziel: Der Biwakplatz Steinknuck. Hier dürfen maximal zehn Personen eine Nacht kampieren. Feuerholz, Feuerstelle und Komposttoilette sind vorhanden. Es sieht ordentlich und aufgeräumt aus. Weit und breit sind keine anderen Übernachtungsgäste zu sehen.
Auf dem mitgebrachten Gaskocher ist die Tomatensuppe schnell erwärmt und unter freiem Himmel schmecken auch noch die Brezen, die den ganzen Tag im Rucksack verbracht haben. Kurz die Tassen mit Trinkwasser ausgespült kann der zweite Gang serviert werden: Es gibt Pfefferminztee mit Schokoladenkeksen.
Bevor es völlig dunkel ist, muss schnell noch die Doppelhängematte zwischen den zwei Pfosten der Forsthütte aufgehängt werden, so dass sie ein bisschen überdacht ist. Mit Stirnlampe ausgerüstet, eingemummelt in Schlafsäcke und isolierendem Biwaksack geht der Tag mit Vorlesen und den nächtlichen Geräuschen des Waldes zu Ende. Charly versucht noch, sich auch in die Hängematte zu begeben, begnügt sich aber irgendwann mit der mitgebrachten Decke darunter.
Trotz Müdigkeit fällt das Einschlafen anfangs schwer. Jedes Knacken, jedes Vogelrufen wird durch die Dunkelheit verstärkt und klingt irgendwie fremd. So lange, bis irgendwann der Schlaf gewinnt.
Am nächsten Morgen werden wir erst gegen acht Uhr von zwitschernden Vögeln geweckt. Kurz darauf kommt ein Fahrradfahrer vorne am Weg vorbeigeradelt und ruft uns ein fröhliches „Guten Morgen“ entgegen, während die Septembersonne ihre Strahlen zwischen den Bäumen hindurch schickt.
Guten Morgen!
Wir sind ziemlich durchgeschwitzt, weil wir nicht nur dicke Schlafsäcke, sondern auch noch einen Biwaksack um uns gehüllt hatten. So konnte nichts verdunsten und der Schweiß ist kondensiert.
Zum Frühstück brauche ich erst mal einen warmen Früchtetee und einen Becher Müsli.
Die Jüngste ist bereits seit dem ersten Augenaufschlag bester Laune.
Ich merke die Wanderung mit Gepäck in jedem einzelnen Knochen, aber es hilft alles nichts, wir müssen weiter.
Heute soll es eigentlich bis zum Baumwipfelpfad Steigerwald gehen und von dort mit dem Bus nach Bamberg zum Bahnhof. Zumindest war das der Plan.
Für Mitte September war es mit über zwanzig Grad recht warm, weshalb Charly hechelt und die Neunjährige jeden zweiten Schritt mit einem Stöhnen begleitet. Deshalb legen wir auch viele Pausen ein und betrachten die Umgebung ganz genau.
Durch kleine Dörfer führt unser Weg und vorbei an Bauernhöfen, Gastwirtschaften und Kirchen. Dabei erinnere ich mich an den Tipp, dass es auf Friedhöfen oft Trinkwasser gibt, und wir füllen unsere Flaschen dort auf.
Als der Weg wieder über freies Feld führt, beschleichen mich vage Zweifel, die Tour wie geplant abschließen zu können. Die Sonne brennt und Die Achtjährige ist erschöpft. Sie lässt sich auch nicht mehr durch ein Hörspiel motivieren. Auch die Aussicht auf den Steigerwald Baumwipfelpfad löst keine Begeisterungsstürme mehr aus.
Ich google ein bisschen, welche Bushaltestelle in der Nähe für uns Sinn machen würde. Leider gibt es gar keine, die Nächste wäre fast am Ziel. Also schau ich nah, wo der Weltbeste (Mann und Vater) hinkommen könnte, um uns einzusammeln. Bis zu der Stelle sind es noch etwa zwei Kilometer und die Aussicht auf eine Pause, bzw. das Ende unserer Wanderung gibt noch ein wenig Vorschub.
Wieder in der Hängematte
Etwa eine halbe Stunde später erreichen wir eine Sitzgruppe unter einem Baum. Halt nein, es sind praktischerweise zwei Bäume, und so sind wir uns schnell einig, dass wir die Hängematte noch einmal aufspannen und es uns gemütlich machen, bis das Papataxi uns abholen kommt. Wir knabbern noch die letzten Vorräte auf und ich lese weiter aus dem Buch vor, das wir ganz zu Anfang unserer Reise beim Warten auf den Zug erworben hatten.
Der Wind streift lauwarm über uns hinweg und eigentlich ist die Wartezeit ziemlich gut auszuhalten.
Die Frage ist nun, ob das Abenteuer gescheitert ist, schließlich haben wir unser Ziel gar nicht erreicht, wie ursprünglich geplant. Aber nein, das ist es ganz und gar nicht. Die Jüngste und ich hatten eineinhalb gemeinsame Exklussivzeit, in der wir beide unsere Schwächen und Stärken erfahren konnten. Ich habe mal wieder festgestellt, dass ich eine Niete in Sachen Orientierung bin und den nächsten Ausflug viel genauer planen muss. Aber ich habe auch gelernt, dass Scheitern gar nicht so schlimm ist. Meine Achtjährige hat trotz allem ein grandioses Durchhaltevermögen und vor allem: Wie cool ist das denn bitte, als Achtjährige mit Mama und Hund alleine draußen im Wald zu übernachten?
Das ist nicht alltäglich. An einem solchen Beispiel sieht man, dass es auch mit wenig Geld, Komfort, ohne Handy und Material geht. Vor allem zurück zur NATUR.
Viel Spaß!
Jens
Toller Artikel!
Danke, dass Du mich mit auf euer Abenteuer genommen hast.
Und wie schön, dass der Artikel in der Blognacht entstanden ist.
Herzliche Grüße
Inge