Burg Posterstein und Tanja Praske rufen zur Blogparade #SalonEuropa auf. Wir sollen nachdenken über Europa. Im Sommerurlaub in Norwegen saß ich bereits an diesem Text. Jetzt findet er den geeigneten Rahmen. Eingebettet in eine Vielzahl vielschichtiger und heterogener anderer Artikel darüber, was Europa für uns bedeutet.

Noch aus dem Urlaub teilte ich auf Instagram ein Bild einer norwegischen Flagge:

#SalonEuropa_Flagge_Norwegen

In Norwegen sieht man wie im Rest Skandinaviens sehr häufig Nationalflaggen. In Deutschland überhaupt nicht. Weshalb?

Drunter schrieb ich:

Überall Flaggen hier. In Norwegen mag ich das. In meinem Heimatland finde ich es befremdlich.

Auf Instagram und Facebook entstand daraufhin eine spannende Diskussion. Viele Menschen empfinden ähnlich angesichts einer deutschen Flagge. Andere sind wütend, daß in Deutschland ein so komisches Verhältnis zu Nationalsymbolen besteht. 2006 zur Fußball-WM wäre man doch auch normal damit umgegangen.

Woher kommt das Unwohlsein?

In der Zwischenzeit habe ich mit vielen unterschiedlichen Menschen gesprochen, verschiedene Quellen zur Geschichte der Flagge konsultiert und unterschiedliche Erklärungsansätze gefunden.

Die Geschichte der Flagge

Um visuelle Informationen über große Distanzen zu übertragen eignen sich Flaggen hervorragend. Von Schiff zu Schiff, von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz. Oft dienen sie auch als Markierungssymbol für die Zugehörigkeit zu Gemeinschaften.

Wußtet Ihr, daß es eine Wissenschaft gibt, die sich ausschließlich mit Flaggen, der Geschichte und Bedeutungen beschäftigt? Ich bis jetzt nicht. Flaggenkunde (Vexillogie) wird in den USA offiziell seit Anfang der sechziger Jahre betrieben, in Deutschland erst seit 1995.

Die Geschichte der Flagge reicht weit zurück in der Menschheitsgeschichte. Die Flaggenforschung geht davon aus, dass zunächst besonders gemusterte Tierfelle an Stangen befestigt wurden, um ein weit hin sichtbares Zeichen zu setzen.
Der amerikanische Vexillologe Whitney Smith geht sogar so weit zu sagen, dass der Fahnenstock selbst schon Bedeutung hat: Als Machtsymbol ähnlich Keule, Speer oder Schwert. Praktisch ist so eine Stange natürlich auch, sie macht die Flagge weithin sichtbar und erleichtert in Kriegszeiten das Sammeln verstreuter Soldaten an einem Ort.
Auch heute noch gilt die Flagge als wichtiges Identitäts- und Orientierungszeichen der Soldaten.

Als man sich 1188, kurz vor dem dritten Kreuzzug auf die Sankt-Georgs-Fahne als Symbol für das Heilige Römische Reich deutscher Nation einigte, legte man den Grundstein für die Verwendung von Nationalflaggen.

Das ist wohl einer der Punkte, die mich schaudern lassen: Der Verwendungszweck einer Flagge ist im Ursprung kriegerisch. Abgrenzend, ausschließend.

Völlig normal: Ein Geschäft in Kristiansand in Südnorwegen, vor dem die Nationalflagge hängt.

Meine nationale Identität

Bevor ich nach dem Abitur nach Norwegen ging und dort folglich Ausländerin war, hatte ich keinen besonders kritischen Blick auf Deutschland.
Ich hatte bis dato wenig Positives über mein Vater/Mutter-Land gehört. Denn immer wieder ging es um Schuld und Sühne angesichts der Ereignisse vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich wußte ich deshalb auf den Spruch eines gleichaltrigen Mädchens „Ihr habt meine Großmutter 1944 umgebracht!“ wenig zu entgegnen.

Eine Bekannte meinte dazu, sie sei nicht stolz darauf deutsch zu sein, doch es mache sie wütend, daß es ein ungeschriebenes Gesetz ist, daß man sich fast für sein Land schämen muß. Schließlich habe man die Generation, die für die Gräueltaten verantwortlich gewesen sind, nicht einmal kennen gelernt.

Mir käme auch nie der Satz „Ich bin stolz eine Deutsche zu sein!“ über die Lippen. Vielleicht ein wenig wegen unserer Geschichte, vielmehr aber aus der Überzeugung heraus, daß ich nur Stolz auf Dinge sein kann, die ich auch selbst erreicht habe. Und für meinen deutschen Paß kann ich gar nichts. Heute bin ich dankbar, in einem Land geboren zu sein, daß mir viel ermöglicht. Nicht mehr und nicht weniger.
Das Konzept „Europa“ als gemeinsamer kultureller Raum gefällt mir eigentlich sehr gut. Denn hier sind Menschen in einer Gemeinschaft zusammen, in die jeder etwas einbringen kann und auch davon profitiert. Unterschiede und Gemeinsamkeiten bereichern die Gemeinschaft.
Bis zu dem Punkt, an dem die Grenzen dicht gemacht, und Menschen ausgesperrt werden. Das bereitet mir persönlich Unbehagen.

Heute Morgen auf der #Charlyrunde habe ich mich, wie so oft, mit einem pensionierten Beamten unterhalten. Rund achtzig Jahre lebt er schon und bezeichnet sich weder als Deutscher noch als Europäer. Lieber als ein Mensch im Universum.

Beflaggung vor dem Rathaus in Kvinesdal (Vest Agder)

Weshalb stört mich nun die deutsche Flagge als Symbol, die norwegische aber nicht?

Norwegen ist das Land, das für mich mein halbes Leben lang eine zweite Heimat ist. Hier habe ich viele gute Erfahrungen gemacht und schöne Zeiten verbracht.
Auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Das gilt nicht nur für das Gesundheitssystem, auch für die norwegische Geschichte. Man denke nur an den Umgang mit der samischen Urbevölkerung.
Und doch denke ich bei der norwegischen Flagge an den 17. Mai, den Nationalfeiertag der Norweger. An dem der Barnetog (Kinderumzug) durch die Stadt zieht und das Land sein Grundgesetz und seine Kinder feiert.
Erblicke ich die deutsche Flagge in einem Schrebergarten, sehe ich vor meinem inneren Auge kahlradierte Köpfe, Springerstiefel und rechtes Gedankengut.
Gerade angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen löst die deutsche Flagge mehr Unwohlsein als wohliges Bauchgefühl bei mir aus.

 

Vielleicht schaffen wir es ja irgendwie gemeinsam die europäische Flagge mit positiven Assoziationen zu Besetzen. Solche wie: Freiheit, Gleichheit, Gemeinschaft, gegenseitige Akzeptanz?

 

Ihr könnt bei der Blogparade #SalonEuropa, noch bis zum 11. November mitmachen!