„Ich möchte in der 10. Klasse ein Auslandsjahr machen und in den USA auf eine Highschool gehen!“
Die Worte meiner großen Tochter, ziemlich genau vor zwei Jahren ausgesprochen, sind wahr geworden. Sie ist vor wenigen Tagen im Südosten der USA gelandet und wird nun die Zeit bis zu den Pfingstferien in einer Gastfamilie verbringen. Anfangs war ich nicht begeistert, meine Gefühle den USA gegenüber waren seit jeher gespalten, doch nachdem mein Hauptargument -Trump- abgewählt war, fehlten mir ein wenig die Argumente. Schließlich wollte sie die Zeit im Ausland dazu nutzen ihre Englischkenntnisse auf ein anderes Niveau zu heben.
Nun ist sie weg und an dieser Stelle werde ich immer mal wieder meine Gedanken loswerden und erzählen, wie es mir damit so geht.
Der Tag vor dem Abflug
Weil wir Inlandsflüge überflüssig finden und sie so weit wie möglich als Familie begleiten wollten, haben wir eine Nacht im Hotel am Flughafen gebucht, den Hund in liebe Hände abgegeben und sind mit Koffer, Kindern und Zusatzbonuskind am Tag vor Abflug nach Frankfurt gefahren. Darin lag die Hoffnung, dass damit der Abschied für alle nicht so abrupt werden würde.
Nach dem obligatorischen Covid-Test und einem Zwischenstopp beim Bäcker für die Reiseverpflegung waren wir am Nachmittag im Zentrum von Frankfurt. Der Plan war noch letzte Besorgungen vor dem Flug zu machen und dann ins Hotel zu fahren. Leider war die Stadt extrem voll, deshalb hatten wir die wichtigen Sachen schnell abgehakt. Noch ein kurzer Blick von der Terrasse der ZeilGalerie, dann waren wir auch schon wieder raus aus der Innenstadt.
Im Hotel gab es verhältnismäßig wenig Diskussion, wer mit wem ein Zimmer teilt. Schlussendlich waren alle halbwegs zufrieden. Inzwischen hatte es angefangen zu Schneien und es war merklich kühler. In der Nähe des Hotels gab es eine italienische Bar, die steuerten wir an. Mit Pasta, Pizza, Risotto und Dolci ließen wir den Abend gemütlich ausklingen. Sorry, dass man mir den körperlichen Schmerz anmerkte, als der Kellner ständig “Espresso” mit “s” am Ende sagte. Ja, ich weiss, der Duden hat nichts mehr dagegen, meinem Sprachgefühl geht es damit aber nicht so gut.
Wir haben viel gelacht und doch kamen immer wieder die Gedanken: Wie wird der Abschied morgen sein, brechen wir in Tränen aus? Was ist, wenn der Flieger Verspätung hat und sie ihren Anschlussflug verpasst? Wird sie Heimweh bekommen und wie sehr kann man einen Menschen eigentlich vermissen?
Der Abflug
Um halb acht sitzen wir alle gefühlsmäßig verkatert am Frühstückstisch. Das Gespräch plänkelt dahin, alles sind angespannt. Die Ungewissheit, und die damit verbundene Unsicherheit ist fast greifbar. Der Weg zum Abflugterminal enthielt eine Extrarunde, mir war der Parkplatz für 15 € die Stunde dann doch zu teuer.
Gleich beim Betreten des Flughafens empfängt uns die Patentante des Kindes, die ganz in der Nähe wohnt. Natürlich war es keine Überraschung mehr, das Kind hatte die SMS gesehen, die auf dem Bildschirm im Auto aufblitzte. Die negative Überraschung: Der Flug hat gehörig Verspätung.
Zeit, sich noch mal zu sortieren: “Hast Du Deinen Pass? Dein Ticket? Die Gastgeschenke?” – blöde Fragen, die man als Eltern halt so stellt in seiner Hilflosigkeit. Hätte sie all das zu Hause vergessen, wäre guter Rat teuer.
Das Einchecken erwies sich als relativ problemlos. Spannend finde ich nur, was die Fluggesellschaft schon vor Abflug alles über mein Kind wissen wollte. Grad, dass sie nicht nach der Schuhgröße fragten und nicht wissen wollten, wann sie den letzten Kontakt zu einem Terroristen gehabt hatte.
Durch die Verspätung hatten wir noch etwas Bonuszeit miteinander. Die Kinder blödelten herum, wir machten noch ein paar Selfies mit dem großen Tochterkind und dann hieß es Abschied nehmen.
Kurz vor dem Durchleuchten heißt es endgültig Abschiednehmen. Hier stehen schon einige Eltern und Familien mit verweinten Augen. Das Kind ist halbwegs gefasst, ich versuche, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, um sie nicht zu verunsichern. Ist hier nicht der Punkt, an dem man seinem gut angewurzelten Kind die Flügel geben muss, die es braucht, um zu fliegen?
Wir winken noch hinterher, bis wir sie nicht mehr erahnen können und fahren noch zu meiner Schwester in die Nachbarstadt. Dort lenken wir uns mit leckerem Essen und Gesprächen ab und warten, bis das Flugzeug tatsächlich gestartet ist. Wäre in der Zwischenzeit noch etwas Unvorhergesehenes passiert, hätten wir leicht noch mal zum Flughafen fahren können.
Aber es startet zwei Stunden später als geplant in Richtung USA und wir machen uns auf dem Heimweg.
Wir aktualisieren ständig den Flugstatus, um herauszufinden, wo das Kind gerade ist. Völlig bescheuert, denn wir können eh nichts tun. Ich schaue mir noch ein paar Krimis an, um ja den Moment der Ankunft nicht zu verpassen.
Irgendwann, um halb zwei in der Nacht kommt die erlösende Meldung “She is here!” von der Gastmutter. Zusammen mit einem Bild meiner völlig übermüdeten Tochter. Puh, das mit dem Loslassen ist noch gar nicht so leicht. Ich bin sehr gespannt, wie das erste Telefonat wird. Sicher auch für das Kind nicht leicht. Das erste Mal so weit weg und dazu das Eintauchen in eine völlig andere Kultur, wohnen bei fremden Menschen und ein ganz neuer Alltag.
Ach, wie schrecklich-schön. Was in mir wohl in einigen Jahren vorgehen wird, wenn ich in einer ähnlichen Situation sein werde? Ich habe ja jetzt schon immer eine unheimlich schreckliche Vermisserung, wenn die beiden nur ein paar Tage bei Oma-Opa sind. Uiuiiui…….. will gar nicht wissen, wie ich dann hin- und hergerissen sein werde.
Aber: Voll super, was sie da macht, wird eine ganz, ganz große Bereicherung für ihr Leben sein. ;-)
Wie toll, dass sie sich das zutraut hat sie dir zu verdanken! Du hast sie so stark werden lassen. Wie cool!
Alu
Diese Stärke ist manchmal auch hinderlich. Nämlich dann, wenn man das Gefühl hat stark sein zu müssen, auch wenn man sich gar nicht danach fühlt.
Loslassen fällt i.d.R. Eltern und Kind schwer. Ihr werdet alle daran wachsen. Dem großen Kind ganz viel Spaß, tolle Erfahrungen und vieles mehr.
Lieben Dank, ich hoffe, wir werden uns schnell daran gewöhnen nur noch zu Viert zu sein und das Leben der Großen aus der Ferne verfolgen zu können.