Diese Krise, die für Eltern nun schon 16 Monate andauert, hat mich als Mutter sehr verändert. Ich befürchte, nicht durchgängig positiv.
Und ich frage mich, ob es nur mir so geht oder andere das ebenso erleben. Ein Gedächtnisprotokoll.

10. Februar 2020: plötzlich schulfrei

10. Februar 2020: Orkantief Sabine, Ciara oder Elsa, wie es anderswo in Europa hieß, fegt über Deutschland und beschert uns in Bayern einen Tag spontan schulfrei. Ein Aufschrei geht durch das Land, denn wer kann als Eltern schon mal über Nacht einen Tag Urlaub beantragen.
Ich hatte seit knapp vier Wochen einen neuen Job und war froh, dass an diesem Montag eh mein regulärer Tag im Homeoffice war. Die Kinder durften den Vormittag tun und lassen, was sie wollten und unterbrachen mich lediglich, um neue Bildschirmzeit anzufordern, oder mit der Nachfrage nach mehr Schokolade und wann endlich das Mittagessen fertig sei.

Am Abend war ich doch irgendwie erleichtert, dass am nächsten Tag alles wieder „normal“ sein würde. Die Kinder sind nicht mehr so klein, aber das Ganze hat sie etwas verunsichert. Abweichungen von der gewohnten Struktur sind zwar bei schulfrei ganz nett, aber auch merkwürdig.

11. März 2020: Angela Merkel ruft die Pandemie aus

Im Januar war ich noch in Österreich auf einer Pressereise und unterhielt mich mit anderen Journalist:innen darüber, welche Fakten über dieses neuartige Virus bekannt sind und wie man das Ganze einzuschätzen ist.
Keine acht Wochen später, am 11. März ruft die Bundeskanzlerin offiziell die Pandemie aus. Endgültig in Deutschland angekommen und wir verzeichnen die ersten Todesfälle. Urlauber werden überstürzt zurückgeholt und die bayerischen Alten- und Pflegeheime werden für Besucher gesperrt. Gastronomie und Schwimmbäder werden geschlossen und ab dem 16. März herrscht in Bayern der Katastrophenfall.

Mir wird es mehr als mulmig. Was genau ist dieses Coronavirus? Wie gefährlich kann das mir und denen die mir wichtig sind werden? Was bedeutet „Katastrophenfall“ für uns als Bürger? Man hat das Gefühl, dass niemand eine klare Antwort darauf hat. Ich befürchte, dass man als Nächstes die Schulen schließt. Weil hier keine direkten wirtschaftlichen Interessen eingeschränkt werden und trotzdem viele Menschen aus dem gesellschaftlichen Verkehr gezogen werden können. Kinder sind ja nicht sonderlich wichtig in der Gesellschaft.

16. März 2020: Schulschließung in Bayern

Es ist eingetreten, was viele befürchtet und noch mehr nicht wahrhaben wollen: Ministerpräsident Söder läßt Schulen und Kitas schließen und verlängert somit erstmal die Osterferien.
Einen Tag später schließen auch Kinos, Clubs, Vereinsräume sowie Sportplätze und Spielplätze, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Sogar die geplante Fußball-Europameisterschaft wird um ein Jahr in den Sommer 2021 verschoben.

Ich bin beruhigt und beunruhigt zugleich. Wenn die Kinder zu Hause sind und wir unsere Kontakte zu reduzieren, können wir uns vielleicht vor dem Virus schützen. Und wenn nach Ostern die Schule wieder losgeht. Dann wird das schon glimpflich ausgehen.

21. März 2021: Der erste Lockdown in Bayern beginnt

Ab sofort gibt es eine Ausgangsbeschränkung im ganzen Freistaat. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.

Puh, jetzt kommt alles irgendwie näher. Aus Italien kommen Schreckensmeldungen von tausenden Toten und unzähligen mit leichenwägen überfüllten Straßen. Ich versuche, mit den Kindern nur sachliche Informationen zu teilen. Meine Angst vor dem, was noch kommen wird behalte ich bestmöglich für mich.
Ich glaube nicht an einen Schulbesuch nach den Ferien. Denn der Lockdown ist kein richtiger, Menschen müssen nach wie vor in Großraumbüro arbeiten. Und wenn Menschen außer Haus arbeiten müssen, müssen auch Kinder betreut werden.

16. April: Ein Lebenszeichen aus einer der Schulen

Die Schulen haben sich sehr bedeckt gehalten. Alle drei Schulen haben wenig von sich hören lassen. Nicht jedes der drei Kinder hatte persönlichen Kontakt zu Lehrern. Geschweige denn, dass irgendwann mal jemand nachgefragt hat, wie es den Kindern geht. Homeschooling bestand bisher aus unzähligen Arbeitsblättern und zugesandten Lösungen.
Wir Eltern hatten den Luxuswährend des Corona-Lockdowns im Homeoffice arbeiten zu können, und uns mit der Betreuung beim Arbeitsblätterausfüllen und Aufgabenerklären abzuwechseln. Von manchen Lehrern kamen mehrere Anweisungen pro Tag, andere waren im Niemandsland verschwunden und meldeten sich gar nicht bei ihren Schüler:innen.
Als besonderes Highlight bekamen wir am letzten Donnerstag in den Osterferien einen Brief aus dem Rektorat einer der Schulen. Man warf uns vor, dass wir uns nicht um unsere Tochter kümmern würden. Wenn wir kein elektronisches Endgerät hätten, hätten wir uns die Arbeitsblätter in der Schule abholen können. Und überhaupt seien wir selbst schuld, wenn unsere Tochter das Klassenziel nicht erreichen würde.

Hintergrund des Schreibens: Der Klassenlehrer hatte abgefragt, wer technische Probleme in der vergangenen Zeit im Homeschooling hatte. Nunja, die hatten wir tatsächlich. Weil die Lehrer:Innen und Schüler:Innen mit dem System nicht vertraut waren und munter Dateien verschoben oder immer wieder versehentlich gelöscht hatten. Vielen Dank auch. Wie mag es denjenigen Eltern mit diesem Brief ergangen sein, die vielleicht nicht die Möglichkeiten hatten, ihre Kinder zu unterstützen, so wie wir? Die weder Endgeräte, Zeit noch das nötige Wissen aufbringen konnten?
Es entsetzt mich, wie sehr die Bildungsschere an dieser Stelle deutlich wird und offensichtlich immer weiter aufklafft.

27. April Maskenpflicht in Deutschland

Nicht nur in Bayern wird der Mund Nasenschutz zur Pflicht. Strafe bei Missachtung: 150€.

In meinem Umfeld werden fleißig Mund-Nasenbedeckungen hergestellt, die später den Namen Alltagsmasken bekommen werden. Mir fehlt dazu das Geschick, ich decke die ganze Familie mit Masken aus dem Laden einer Freundin ein.
Keiner von uns hat Problem, diese Stoffdinger zu nutzen, aber die Toleranz denen gegenüber, die sie demonstrativ falsch tragen, sinkt mit jedem weiteren Tag.

11. Mai: Das eine Kind darf zurück in die Schule

Die Jüngste darf wieder in die Schule. Ihre Klasse ist Abschlussklasse. Aber es ist nicht mehr so wie vorher. Manche Eltern stehen dem Thema Corona äußerst skeptisch gegenüber und sind gegen das Tragen von Masken. Schnell sind Atteste herbeigezaubert und auf Facebook werden Demos vor dem Schultor angezettelt.

Ich merke, wie meine Nerven langsam schwinden. Eigentlich kann ich Stress ganz gut verkraften. Dann, wenn es ein vorübergehender Zustand ist. Aber hier sehe ich kein Ende. Es wird nämlich immer deutlicher, dass unsere Gesellschaft ein Haufen egoistischer Menschen ist. Einschränken für andere? Nö, das machen nur die Kinder. Geld für Luftfilter in Schulen und Kitas? Nö, wir sponsern Betriebe wie die Lufthansa, die zum Dank dann Leute einfach entlässt.
Und sind wir Eltern nicht alle ein bisschen Lehrer:innen? Wenn ich frühere Arbeitgeber:innen um Homeoffice bat, war die Antwort immer: Unmöglich mit drei Kindern!
Heute ist das gar keine Frage und vor allem kein Problem. Montag um 7 Uhr schnell noch für drei Kinder jeweils 50 Arbeitsblätter drucken und sortieren, Tagespläne erstellen, Aufgaben erklären und am Ende den ganzen Papierkram auch noch korrigieren – alles kein Problem, ich war doch auch mal Schülerin. Nächste Woche fange ich als Chirurg an. Ich hab schon mal ein Schwein zerlegt!
Und „nebenbei“ versuche ich dann im neuen Job eine gute Figur zu machen alles kein Thema. Ebenso wenig wie die Extramahlzeiten, die nicht nur zubereitet werden wollen, sondern für die auch irgendwer einkaufen muss.

Sommerferien 2020: Trügerische Normalität

Wir fahren mit Freunden nach Österreich an einen See. Hier ist von der Corona-Krise nicht zu spüren. Wir haben möglichst wenige Kontakte zu anderen Menschen. Sonne und Seewasser tun gut. Einige unserer Kinder machen einen Surfkurs, wir gehen wandern, radeln und spielen Karten. Wenn man sich die Masken wegdenkt, das Handy aus- und den Fernseher nicht einschaltet, könnte man meinen, alles sei wie immer.

Nichts ist wie immer. Die Gedanken kreisen. Nicht nut die der Erwachsenen. Die Kinder machen sich ebenso Gedanken. Ihnen ist bewusst, dass wieder als Erstes die Schulen schließen, wenn die Inzidenzen steigen. Alle sind irgendwie beunruhigt, keiner will es aussprechen. Ich möchte mich am liebsten verkriechen. Ich hasse es, dass ich meinen Kindern keine unbeschwerte Kindheit ermöglichen kann. Wir sind priveligiert. Trotzdem fühle ich mich schlecht.

Weihnachten – Neujahr – Ostern 2021

Anfang Dezember war es auch dem letzten Zweifler klar: Die Schulen werden kurz vor Weihnachten geschlossen. Wie lange war damals unklar, es dauerte für die größeren Kinder bis nach den Osterferien. Und in Bayern war man besonders fleißig und hat die Faschingsferien im Februar zum “Aufholen” genutzt. Ich war in dieser Zeit einmal in der Woche im Büro, um Unterlagen zu versenden. Das Grundschulkind durfte als erstes wieder im Wechsel in die Schule gehen.

Mit einem bitteren Lachen im Kopf denke ich an den ersten Lockdown im März 2020. “Schlimmer kann es nicht werden” sagte ich damals zu einer Freundin. Ach, was war ich naiv damals. Mich belastet es zunehmend, die Anfragen auf der Arbeit zu lesen. Nicht nur die Eltern wissen nicht mehr weiter, auch die Jugendlichen stellen zunehmend mehr Anfragen wegen Einsamkeit und Zukunftsängsten.
Mir fällt es schwer, der Verzweiflung meiner Kinder Hoffnung und Zuversicht entgegenzusetzen. Die Schulen sind keine große Hilfe dabei den Kindern halt zu vermitteln. Nach wie vor verweigern viele Lehrer per Videokonferenz zu unterrichten. Und wenn, dann schiebt man den Datenschutz vor, und keiner der Lehrer sieht die Kinder länger als ein paar Sekunden über die Kamera.

Fast Forward: 11. Juli 2021

Erst Mitte April 2021, nach kompletten 4 Monaten zu Hause, dürfen alle Kinder wieder mehr oder weniger regelmäßig in die Schule gehen.
Wie die Benotung vonstattengehen wird, ist nicht klar geregelt und Angst und Unsicherheit sind groß. Ob alle Kinder das Klassenziel (was kann das dieses Jahr mehr sein, als psychisch gesund zu bleiben?) erreichen werden ist noch unklar.
Nach anfänglicher Skepsis, wie es wohl zurück in der Schule sein wird, geht es den Kindern besser. Sie treffen ihr Freund:innen wieder, können sich persönlich austauschen und haben wieder so etwas wie Alltag. Irgendwann sind auch Musikschule, Sportverein, politische Aktivitäten und Freiwillige Feuerwehr erlaubt.

Ich stürze mich in die Arbeit, und versuche den Kindern den Alltag so angenehm wie möglich zu machen. Im Juni habe ich sogar eine hybride Veranstaltung auswärts und freue mich riesig, meine Kolleg:innen, die in ganz Deutschland verteilt sind, zu treffen. Aber das Unwohlsein geht einfach nicht vorüber, immer ist im Hinterkopf die Frage, wann wieder alles geschlossen wird. Denn das Infektionsgeschehen in den Ländern um uns herum verheißt nichts Gutes.
Und mir werden Menschen zu viel, mit denen ich diskutieren muss. Menschen, die meinen Kindern nicht wohlgesonnen sind und sich aus reiner Bequemlichkeit unfair ihnen gegenüber verhalten.
Mir werden Menschen zu viel, die erst reden und dann nicht nachdenken. Menschen, die das leben Anderer diskutieren, ohne davon betroffen zu sein. Ich habe keine Energie mehr für Verschwörungstheorien.

Sommerferien August 2021

Die Sommerferien sind schon eine Woche alt. Ein Kind hat ein Zeltlager hinter und einen Englischkurs vor sich. Die beiden anderen hatten eine Woche Englisch in Kombination mit Reiten. Ein Kind ist vollständig geimpft, eines ist bald das erste Mal dran, eines hat keinerlei Aussicht auf Impfschutz. Unser geplanter Urlaub steht auf mehr als wackeligen Beinen.
In Deutschland sind die Infektionszahlen aktuell niedrig, ich persönlich vermute allerdings, dass einzig die wegen der Ferien fehlenden Testungen in den Schulen der Grund dafür ist.
Bis heute sind während der Corona-Krise drei Menschen aus meinem Leben gestorben. Aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Die Zeit fühlt sich aktuell an, wie die Ruhe vor dem Sturm. Zwar ist gerade kein Homeschooling, aber die Angst vor dem, was kommt ist groß. Wechselunterricht ab Herbst scheint unausweichlich. Ich bräuchte dringend Urlaub, habe aber noch ein Projekt, das fertig gemacht werden muss. Die Aussicht, dass unser Urlaub gecancelt wird macht es nicht besser. Zusätzlich die ganzen Krisen, die sonst noch auf der Welt herrschen, einschließlich der Klimakrise.
Und bei allem kann ich nichts tun. Im September sind Wahlen, ich hoffe dann können wir noch das Schlimmste verhindern. Für unsere Kinder.